Nach dem Krieg
Heimkehr
Die Familien Allina, Kohn und Morgenstern kehrten 1947/48 nach St. Pölten zurück. Sie hatten beruflich und klimatisch nicht in Palästina heimisch werden können. Nach einigen Ansuchen und Amtswegen erhielten sie, soweit noch vorhanden, ihr früheres Eigentum zurück und schufen sich eine neue Existenz. Alle hatten nahe Familienangehörige verloren.
Familie Morgenstern
„Ich hab mich gefühlt als der Letzte, und da hab ich eine gewisse Verpflichtung gefühlt, ich muß das dokumentieren.“ (Hans Morgenstern)
Hans Morgenstern war das letzte in die Geburtsmatriken der Kultusgemeinde eingetragene Kind. Sein Vater, der Rechtsanwalt Dr. Egon Morgenstern, fand in Palästina erst nach zwei Jahren eine schlecht bezahlte Arbeit in einer Bibliothek. 1947 fuhr die Familie mit einem UNRRA-Schiff über den Suezkanal nach Venedig Richtung alte Heimat. Nach der Heimkehr nahm Egon Morgenstern sofort seine Tätigkeit als Anwalt wieder auf und vertrat einige St. Pöltner Juden in Rückstellungsverfahren. Die Familie zog in ein Hotel, denn ihre Wohnung war durch Bomben zerstört. Die Abfindung für sein Elternhaus erhielt Egon Morgenstern erst 1956, es war als deutsches Eigentum von der Sowjetarmee beschlagnahmt und erst nach dem Staatsvertrag freigegeben worden. Sein Sohn Hans und dessen Cousins Hans, Heinz, Herbert und die Cousine Renée Kohn waren die einzigen jüdischen Kinder in St. Pölten. Hans Morgenstern wurde sich dieser »Andersheit« zunehmend bewusst. Er studierte in Wien Medizin und ließ sich in St. Pölten als Hautarzt nieder. Als „Letzter“ fühlte er sich verpflichtet, die zerstörte jüdische Gemeinde zu dokumentieren, und legte 1985 eine Fotosammlung als Gedenkbuch für die ermordeteten St. Pölten Juden an.
Familie Kohn
„Wo habt ihr mich da hingebracht?“ (Hans Kohn 1948)
Die Brüder Max, Siegfried und Jakob Kohn kehrten mit ihren Familien im März 1948 nach Österreich zurück. Sie hatten sich in Palästina unter großem Arbeitseinsatz eine Existenz geschaffen, konnten sich aber im wahrsten Sinn des Wortes nie »akklimatisieren«. Der bei der Flucht dreijährige Hans, Sohn von Max und Valerie, hatte sich aber sehr gut eingelebt, und erinnert sich, wie traurig und deprimiert er bei der Ankunft im kalten, zerstörten Wien war. „Wo habt ihr mich da hingebracht?“ war die vorwurfsvolle Frage an die Eltern.
Zuerst wohnten die Familien in einem Hotel in Wien, bis ihr Verwandter Dr. Egon Morgenstern das Verfahren um die Rückstellung des Hauses in St. Pölten durchgeführt hatte. Das Schuhgeschäft in der Linzerstraße erhielten die Brüder zurück. Der „Ariseur“ hatte damit von 1939-1944 jährlich 200.000 Reichsmark Umsatz gemacht. Weil er inzwischen verarmt war, verzichtete die Familie Kohn auf den Gewinnentgang und erhielt lediglich eine Abfindung von 10.000 Schilling. Im Februar 1958, zehn Jahre nach ihrem ersten Ansuchen, erhielten Jakob und Irma Kohn die Freigabe eines von der Gestapo 1938 gesperrten Sparbuchs.
Die Kinder der Brüder Kohn verließen St. Pölten und zogen nach Wien bzw. ins Ausland. Hans Kohn fühlt sich in St. Pölten wohl, vermisst aber „die jüdische Umgebung“. Er übernahm als Letzter der großen Familie das 1883 von seinem Großvater Julius gegründete Schuhgeschäft in der Linzer Straße. Inzwischen ist er in Pension und hat das Geschäft aufgelöst.
Familie Allina
Ehemalige KZ-Häftlinge konnten Opferfürsorge beantragen. Dafür mussten sie einen Mithäftling als Zeugen bringen; Arthur Allina fand den nach Wien zurückgekehrten Max Haber. Die KZ-Haft, die lebenslange physische und psychische Beeinträchtigung zur Folge hatte, wurde mit einem Monatssatz von 431,20 Schillingen abgegolten. Artur Allina erhielt für seine einjährige Haft in Dachau und Buchenwald 5174,40 Schilling Entschädigung. Seine Brüder Max und Richard waren umgekommen.
Artur Allina gelang in seiner alten Heimatstadt der Aufbau einer zweiten Existenz. Sein Sohn Michael war das erste nach dem Krieg in St. Pölten geborene jüdische Kind. Seine Eltern sind auf dem jüdischen Friedhof begraben, er selbst ging mit seiner Familie in die Schweiz.