Steine der Erinnerung
Clothilde Frischmann, geb. Pulgram
„Ich melde hiemit, dass ich im Zuge der Arisierung am 12. 11. 38 von Frau Klothilde Frischmann das Haus in Wilhelmsburg, Färbergasse Nr. 3 käuflich erworben habe. Hochachtend Konrad Haumer.“ (Schreiben an das Bundesministerium für Wiederaufbau und Wirtschaftsplanung, St. Willibald, 6. 11. 1946)
Clothilde (auch: Klothilde) Frischmann wurde am 3. Jänner 1870 in Varaždin (Ungarn) als Tochter von Adolf Abraham Pulgram und Hanni, geb. Frischmann, geboren. Die weit verzweigte, mit zahlreichen Kindern gesegnete Familie gehörte dem traditionellen Judentum Westungarns an, Eheschließungen zwischen Verwandten waren häufig. Clothilde und ihr Mann Leopold hatten sieben Kinder: Arthur, geb. 1888, war in Dachau und Buchenwald inhaftiert und konnte über Jugoslawien und Ägypten sein Leben retten, er starb 1968 in Holon (Israel). Das Schicksal von Alexander, geb. 1889, und auch von seinem jüngsten Bruder Hugo, geb. 1901, ist unbekannt, es ist anzunehmen, dass sie bereits als Kinder starben. Dem Leben von Emma, die 1893 schwer behindert geboren wurde, und auch Sohn Richard, geb. 1900, sind eigene kurze Kapitel gewidmet. Leopold und Clothildes sechstes Kind, Olga, geb. 1894, verheiratete Kohn, lebte in Traisen 48. Sie wurde am 12. Mai 1942 mit ihren Kindern Lilli (geb. 1926) und Otto (geb. 1929) nach Izbica deportiert. Oskar, Olgas ältestes Kind, geb. 1924, konnte mit seinem Vater in die USA fliehen.
Das jüngste Kind von Clothilde und Leopold, Egon, geb. 1899, überlebte mit seiner Frau Anna, geb. Wellisch, und seinen beiden Kindern Hanna und Erich nach einer traumatischen Flucht in Palästina/Erez Israel. Sie kehrten wieder nach Wilhelmsburg zurück, wo Egon 1961 starb.
Clothilde versorgte Haushalt, Kinder sowie die pflegebedürftige Tochter Emma und arbeitete auch im Geschäft, dem Kaufhaus „Leopold Frischmann & Söhne“ mit. Wie die im selben Haus lebende Familie Löwinger musste auch die Familie Frischmann im Jahr 1920 eine materielle Katastrophe verkraften: Ein schwerer Brand zerstörte das Dach des Hauses. Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) St. Pölten unterstützte den Wiederaufbau mit einer Überbrückungshilfe. Nach dem Tod ihres Ehemannes am 3. Oktober 1929 übernahm Clothilde mit ihren Söhnen Arthur, Egon und Richard das Geschäft: „Ich habe nur meine Arbeitskraft in diese Firma eingebracht und partizipiere am Ertrage mit 1⁄4 Anteil.“, schrieb sie in ihrer Vermögensanmeldung vom 28. Juni 1938. Laut dieser gehörte ihr das solide gebaute einstöckige und zentral gelegene Wohn- und Geschäftshaus in der Färbergasse 3 zur Gänze.
Dieses Haus wurde am 12. November 1938, also im Zuge der Novemberpogrome, von Konrad Haumer aus St. Willibald bei Raab in Oberösterreich „arisiert“. Das Haus war zuerst auf 17.500, dann auf 16.000 Reichsmark geschätzt worden. Der Kauferlös betrug schließlich nur 11.000 Reichsmark, die jedoch auf ein Sperrkonto gelegt wurden, auf das die Familie Frischmann nicht zugreifen konnte. Die Warenbestände im Altwarenlager und Aktien brachten noch etwas Vermögen ein, das vermutlich die Flucht der Söhne und ihrer Familien finanzierte. In der Beilage ihrer Vermögensanmeldung listete Clothilde Frischmann ihren Schmuck auf, darunter ihren eigenen und den Ehering ihres verstorbenen Mannes sowie als teuerste Objekte zwei goldene Uhren im Wert von je 100 Reichsmark. Wie alle anderen jüdischen Verfolgten musste sie nach Wien zwangsübersiedeln – aus dem Haus ihrer Sammelwohnung in Wien 2, Zirkusgasse 10/12, wurden 110 Menschen deportiert. Clothildes Transport ging am 28. Juli 1942 nach Theresienstadt. Bereits am 20. September erlag sie den vor allem für ältere Menschen unerträglichen Lebensbedingungen.