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Josef
Rosenstingl
16.02.1881
St. Pölten
Riga
Kaufmann
Herzogenburger Straße 31, St. Pölten
Kremser Landstraße 57, St. Pölten
Am 14. Juni 1939 nach Novaragasse 41, Wien 2 abgemeldet, doch floh er nach Italien; nachdem der Versuch ein Visum zu bekommen gescheitert war, kehrte er nach Wien (Rotensterngasse 31/12, Wien 2) zurück; am 3. Dezember 1941 nach Riga deportiert
 
Katharina
Marie
Jani, Jany
Alfred


Steine der Erinnerung

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Josef Rosenstingl

„Mein liebes Burschl! Heute werde ich dir wohl für längere Zeit das letzte Mal schreiben. Ich muß in 4 Tagen retour fahren auf Befehl der hiesigen Behörden. Ist es nicht eigenartig, voriges Jahr an deinem Geburtstag wurde ich geholt, und heute am Geburtstag der Mama erhielt ich die Ausweisung.“

Diese Zeilen stehen am Beginn eines berührenden Briefes, den Josef Rosen­stingl am 21. Oktober 1939 aus Genua an seinen Sohn Alfred schrieb. Er war mit ihm und anderen Juden am 14. Juni 1939 nach Italien geflohen, konnte jedoch kein Visum in ein rettendes Fluchtland erhalten. Alfred hingegen entkam mit Hilfe der Quäker nach Großbritannien und meldete sich im März 1943, nun­ mehr als Alfred Ratcliffe, zur Highland Light Infantry, um „dem Feind ins Auge zu sehen“, wie er 1996 in einem Interview sagte. 1947 kehrte er nach St. Pölten zurück.

Josef Rosenstingl wurde am 16. Februar 1881 geboren, seine Mutter Katharina Rosenstingl (1856 Lackenbach – 1918 St. Pölten) hatte ihn, seine Schwester Johanna und eine weitere Tochter namens Leopoldine unverheiratet großge­zogen. Josef betrieb in der Herzogenburger Straße 31 einen kleinen Gemischt­warenhandel. Im April 1920, vermutlich aufgrund seiner Heirat mit der Nicht­jüdin Maria Jany, war er aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten, kehrte jedoch im Juni 1938, nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, wieder zurück. Sohn Alfred, geboren am 10. November 1920 – sein Vater war demnach, wie im Brief erwähnt, an seinem Geburtstag in der „Reichspogrom­nacht“ verhaftet worden – erinnerte sich an eine materiell sehr bescheidene, aber „doch recht schöne Jugend“.

Bereits im April 1938 wurde das Geschäft liquidiert und die Familie verlor ihre Existenzgrundlage. Aus der Haft wurde Josef Rosenstingl bereits nach zwei Tagen entlassen. Einige Monate konnte er noch mietfrei im Magazin des jüdi­schen Kaufmanns Julius Körner in der Kremser Landstraße 57 wohnen. Die erste Unterkunft nach der erzwungenen Umsiedlung nach Wien fand er im 2. Bezirk, in der Novaragasse 41.

Nach den NS­-Rassegesetzen theoretisch nur „Mischling 1.“ bzw. „2. Grades“, waren Josef und Alfred aber wegen ihres sozialistischen Engagements, des illegalen Druckens von Flugblättern und Austragens von verbotenen Zeitungen doppelt gefährdet. Am 14. Juni 1939 traten sie mit einer Gruppe von acht Ju­den, darunter Hermann und Rudolf Gelb aus Ratzersdorf (heute St. Pölten) und Leopold Tichler (oder Tüchler) aus Wilhelmsburg, die Flucht nach Mailand an, die für alle außer Josef Rosenstingl lebensrettend sein sollte. Nach dem ein­gangs im Brief erwähnten Ausreisebefehl musste er Ende Oktober nach Wien zurückkehren und wurde in eine Sammelwohnung in Wien 2, Rotensterngasse 31/12 eingewiesen. Mit kleinen Gelegenheitsarbeiten und der Unterstützung seiner Frau, die ihn auch immer wieder für einige Tage besuchte, konnte er sich über Wasser halten, wie er seinem Sohn in mehreren Briefen berichtete. 

Seiner Schwester Johanna, die wahrscheinlich nach Kroatien hatte entkommen können, schrieb er allerdings von seiner großen Einsamkeit und Verzweiflung, dem Trennungsschmerz und den wegen seines Rheumatismus qualvollen Nächten.

Am 22. August 1941 schrieb Josef an seinen Sohn: „Mein lieber Bub! Übermor­gen ist es zwei Jahre, seitdem wir Abschied nahmen. Noch fühle ich deine warme Wange, als ich dich zum Abschied küßte. Wir dachten wohl nicht, daß es ein Abschied auf Jahre sei. Doch bin ich Gott dankbar, daß er dich bisher beschützt hat und hoffe, daß es auch weiter der Fall sein wird. Du bist ja ein tapferer Bursch und wirst die schwere Zeit überstehen. Bleib mir brav und an­ständig gegen deine Mitmenschen, bis uns Gott die Freude des Wiedersehens schenkt.“

Am 3. Dezember 1941 wurde Josef Rosenstingl nach Riga deportiert. Von den 20.000 in diesem Ghetto Inhaftierten überlebten nur etwa 800, davon 100 aus Österreich. Josefs Todesdatum ist nicht bekannt. Alfred erfuhr erst 1996, an welchem Tag und wohin sein Vater deportiert worden war.

 

Josef Rosenstingl

“My dear boy! This is probably the last time I will write to you for the foresee-able future. In 4 days I will have to return by order of the authorities here. Isn’t it strange: Last year on your birthday I was taken, and today on Mama’s birthday I received my notice of expulsion.”

These are the opening lines of a moving letter that Josef Rosenstingl wrote to his son Alfred from Genoa on 21 October 1939. They had fled together with other Jews to Italy on 14 June 1939, but Josef was not able to get the neces­ sary visa for a country of refuge. By contrast, Alfred managed to escape to the United Kingdom with the help of the Quakers, where he enlisted, now under his new name Alfred Ratcliffe, with the Highland Light Infantry to “look the enemy in the eye”, as he put it in an interview in 1996. In 1947, he returned to St. Pölten.

Josef Rosenstingl was born on 16 February 1881. His mother Katharina Rosen­ stingl (1856 Lackenbach – 1918 St. Pölten) raised him, his sister Johanna, and another daughter called Leopoldine, as an unmarried woman. Josef ran a small general store in Herzogenburger Straße 31. In April 1920, he formally left the Jewish community, presumably due to his marriage with Maria Jany, a non­Jew, yet returned to the community in June 1938 after the Nazi assump­ tion of power. His son Alfred was born on 10 November 1920 – meaning that his father, as he stated in his letter, had been arrested on his birthday during the November Pogrom. Alfred later recalled a materially very modest, but “genuinely quite pleasant childhood”.

The store was already liquidated in April 1938 and thus the family lost its means of subsistence. Josef Rosenstingl was released from prison after just two days. He was able to live for a few months free of charge in the depot of the Jewish merchant Julius Körner in Kremser Landstraße 57. After being forced to relocate to Vienna, his first place of residence was in Novaragasse 41 in the second district.

After the “Nuremberg race laws” only “Mischlinge” (people of mixed blood) of the first and second degree respectively, Josef and Alfred also engaged in socialist activities, including the illegal printing of fliers and the delivery of banned newspapers. They were thus in danger on two counts. On 14 June 1939, they escaped to Milan together with a group of altogether eight Jews, including Hermann and Rudolf Gelb from Ratzersdorf (today St. Pölten) and Leopold Tichler (or Tüchler) from Wilhelmsburg, which was to save all of their lives except that of Josef Rosenstingl. Following his expulsion mentioned in the above­cited letter, he had to return to Vienna that October and was as­ signed to a collective apartment in Rotensterngasse 31/12 in Vienna’s second district. As he informed his son in numerous letters, he was able to get by with small odd jobs and the support of his wife, who would visit him for days at a time.

However, in his letters to his sister Johanna, who probably fled to Croatia, he wrote of his great loneliness and despair, the pain of separation, and the tortuous nights due to his rheumatism.

On 22 August 1941, Josef wrote to his son: “My dear boy! The day after tomor­ row it will be two years since we said goodbye. I can still feel your warm cheek as I kissed you goodbye. We obviously did not think that this farewell would last for years. Yet I am grateful to God that he kept you safe thus far and I hope that this will continue to be the case. You are a brave boy and you will overcome this difficult time. Stay good and decent towards your fellow human beings until God grants us the joy of seeing each other again.”

On 3 December 1941, Josef Rosenstingl was deported to Riga. Of the 20,000 people interned in this ghetto, only about 800 survived, including 100 from Austria. Josef’s date of death is unknown. Alfred only discovered in 1996 when and where his father had been deported.